STADT AUFMÖBELN
Negociaciones Urbanas Projekt, Bogotá, Kolumbien. © Arquitectura Expandida
Verortung:
„Parques de Bogota“ in Bosa, Bogotá, Kolumbien
Zeitraum
September - November 2019
Größe
Park in einer sozialen Großwohnanlage
Akteur*innen
Arquitectura Expandida (Projektleitung), Golpe de Barrio (Hip Hop Kollektiv), Herederas y Herederos del Saber (ein Gemeinschaftsgartenprojekt in der Nachbarschaft an dem vor allem ältere Frauen beteiligt sind), zwei Fußballschulen sowie Bewohner*innen der Wohnanlage
Eigentumsverhältnisse
Die gebauten Elemente sind für die Allgemeinheit frei nutzbar. Die Leichtbaukonstruktion „Kuppel“ verwaltet ein Hip Hop Kollektiv.
Rechtliche Rahmenbedingung
Umsetzung der Parkanlage wurde durch ein rechtliches Schlupfloch während der Übergabephase durch die Bauträger*innen an die öffentliche Hand möglich.
Finanzierung
Ausgeschriebener Open Call („Barrios Creativos: Participando en Comunidad -Fortalecimiento comunitario en espacios culturales y zonas comunes de las VIPS-») der Stadt Bógota (Secretaría de Cultura, Recreación y Deporte und Secretaría del Hábitat)
Links
www.arquitecturaexpandida.org/negociaciones-urbanas
www.instagram.com/arquitectura_expandida
2016 zogen die ersten Bewohner*innen in den Wohnkomplex „Parques de Bogota“ in Tintal Sur am Stadtrand von Bogotá. Die Anlage sollte Tausenden ein Zuhause und eine Alternative zu informellen Siedlungen bieten. Allerdings weist der Wohnkomplex laut Arquitectura Expandida (AXP) Mängel auf: Er liegt sehr abgeschieden und isoliert. Um die Innenstadt von Bogotá zu erreichen braucht man in der Regel zwischen zwei und drei Stunden. Außerdem existiert keine qualitätsvolle soziale Infrastruktur vor Ort: Eine Schule und eine Polizeidienststelle sind die einzigen öffentlichen Einrichtungen in der Nähe. Auch ist der öffentliche Raum in der Anlage nur minimal gestaltet und wenig einladend.
Ende 2019 war Arquitectura Expandida für drei Monate fast täglich vor Ort im öffentlichen Raum. Gemeinsam mit Bewohner*innen wurde Stadtmobiliar gebaut, um dadurch auch einen Dialog über das Zusammenleben zu ermöglichen. Diese Art zu Arbeiten beschreibt AXP als „provocaciones tácticas“ (taktische Provokationen), die darauf abzielen, Neugierde und Debatten zu provozieren. Während des Projektzeitraums wurden unterschiedliche Möbel hergestellt: Zu allererst wurde eine Kuppel aus PVC-Rohren konstruiert, die als Werkstatt genutzt und später von einem Hip Hop Kollektiv übernommen wurde. Außerdem wurden unterschiedliche Möbel und Elemente aus Holz wie Fußballtore, Bänke, Schilder und ein Zaun für den Gemeinschaftsgarten gebaut. Die Fußballtore und Bänke sind nicht an einem fixen Ort aufgestellt, sondern können beliebig von mehreren Personen bewegt werden.
Das Projekt „Negociaciones Urbanas“ steht ganz im Zeichen der Gemeinschaft: Einen Austausch zwischen den Bewohner*innen zu ermöglichen, bestehende Gemeinschaftsprozesse zu unterstützen und die Schaffung eigener Räume waren Ziele, die sich Arquitectura Expandida gesetzt hat. Etwa ein Jahr später befinden sich die Möbel noch immer in der Parkanlage und weitere Projekte vor Ort wurden mittlerweile angestoßen oder befinden sich in Planung.
Angesichts der expliziten Nachfrage nach Sitzbänken als Nachbarschaftstreffpunkt wurden Sitzgelegenheiten entworfen, die der Monotonie der Umgebung entgegenstehen. © Arquitectura Expandida
„Provocaciones tácticas” sollen Neugierde und Debatten rund um den öffentlichen Raum provozieren. © Arquitectura Expandida
Die Kuppel wurde zum Symbol der Aneignung des öffentlichen Raumes. © Arquitectura Expandida
Soziale Spannungen
Es kann passieren, dass einerseits die Opfer des kolumbianischen Bürgerkrieges andererseits frühere Guerillas im selben Haus wohnen. Es existiert kein Konzept, wie mit solchen Spannungen umgegangen wird und wie sich mögliche Konflikte schlichten lassen.
Polizeipräsenz
Die Polizei ist in „Parques de Bogota“ sehr präsent und arbeitet mit Methoden der Überwachung und Kontrolle. Während des Projektes entstanden jedoch erste konstruktive Dialoge zwischen der Polizei und vor allem der jüngeren Nachbarschaft.
Das wird eh kaputt!
Von Anfang an gab es kritische Stimmen, die voraussagten, dass alle Möbel letztlich zerstört werden würden. Diese Prophezeiung hat sich nicht bewahrheitet. Obwohl keines der Möbel fest verankert ist, wurde noch keines entwendet oder zerstört.
Erfahrungen aus Paris
In den Jahren 2017, 2018 und 2019 hat Arquitectura Expandida auch in einer ähnlichen Wohnhausanlage in Paris (Clichy-Sous-Bois) gearbeitet. Dort konnten sie bereits viele Taktiken erproben, die nun in diesem Projekt genutzt wurden.
Schlupflöcher finden
Noch ist der Baugrund nicht in die öffentliche Hand übergegangen. Das heißt, die Parkanlage gehört offiziell noch den Bauträgern. Niemand fühlt sich zuständig. Dieser Zustand wurde im Projekt als bürokratisches Schlupfloch genutzt.
Hip Hop Kollektiv
Ein wichtiger Partner im Projekt war das Hip Hop Kollektiv Golpe de Barrio. Diese Partnerschaft ermöglichte es, Personen am Rand der Gesellschaft anzusprechen.
Ausblick: Mapping Projekt
Unmittelbar nach Abschluss der „Negociaciones Urbanas“ hat Arquitectura Expandida ein zweites Projekt gestartet. Gemeinsam mit dem Hip Hop Kollektiv wurde begonnen, das Gebiet kritisch zu kartografieren (critical mapping).
Ana López-Ortego im Gespräch mit Clara Hirschmanner (Social Design Studio) am 26. August 2020
Normalerweise ist diese Art von Open Call [für solche Projekte im öffentlichen Raum wie in „Parques de Bógota“, Anm.] sehr stark veranstaltungsfokussiert. Und wir selber glauben nicht wirklich daran. Wir glauben an alltägliches Leben. In unserem Konzept für den Open Call [...] sprachen wir nur über unsere Methodik: Taktische Provokation, die verbale und nonverbale Kommunikation ermöglichen soll. Wir haben aus unserer früheren Arbeit in Bogotá viel gelernt. […] Aber vor Clichy-Sous-Bois in Paris haben wir nur in den informellen Siedlungen von Bogotá gearbeitet. Und dort sind die Dinge sehr speziell: Also zum Beispiel das Thema Grundeigentum. Da ist es mehr so, dass die Gemeinschaft sich das selber ausmacht. Selbst wenn die informellen Siedlungen legalisiert sind, ist die Erlaubnis, dort etwas zu tun immer mit der Gemeinschaft vor Ort verbunden. Hier [in den Parques de Bogotá] wussten wir, dass es anders sein wird, denn die Gemeinschaft hier ist in Wahrheit keine Gemeinschaft, bzw. keine sehr enge. [...] In Clichy-Sous-Bois haben wir das auch festgestellt. Wenn wir zum Beispiel mit einer Gemeinschaft in einer informellen Siedlung in Bogotá arbeiten, werden wir direkt von den Bewohner*innen kontaktiert, die mit uns zusammenarbeiten wollen, weil sie unsere Arbeit in einem anderen Stadtviertel gesehen haben. Sie wollen also wirklich etwas bauen und ein wenig Raum verwalten. In diesem Moment haben sie also etwas sehr Wichtiges erreicht, denn die Leute sind sich in gewisser Weise einig was passieren soll. Bei diesem Projekt mussten wir erstmal reden, eine andere Realität vorstellen und gemeinsam träumen.
In dieser Art von Kontext (Clichy-Sous-Bois und Parques de Bogotá) haben die Leute uns nicht gebeten, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Also mussten wir in gewisser Weise unsere Anwesenheit legitimieren. In Clichy-Sous-Bois waren wir zum Beispiel die einzigen Weißen. [...] In Clichy-Sous-Bois haben wir gelernt, dass es keine gute Idee ist, dass dort wo niemand nach dir gefragt hat, ein partizipatives Projekt mit Treffen oder mit Plänen zu beginnen. Nein! Die Leute, die zu dieser Art von Treffen gehen, sind immer die gleichen Leute. Sie sind natürlich wichtig, aber es kommen vielleicht 10 Leute zu allen Treffen. Niedergeschlagene Menschen, isolierte Menschen, zurückgewiesene Menschen, verletzbare Menschen werden nicht teilnehmen. In diesem Fall arbeiten wir also immer im öffentlichen Raum. Wir versuchen dort einen Arbeitsplatz zu schaffen, eine Werkstatt. […] Wir versuchen immer einen symbolischen Raum zu nutzen – zum Beispiel haben wir in Parques de Bogotá eine Kuppel aus PVC-Rohren gebaut. Diesen Arbeitsplatz versuchen wir in das alltägliche Leben zu integrieren und weniger als Ereignis oder Workshop anzupreisen. Die Menschen sehen, dass du dort arbeitest. Sie selber wollen keinen Architekten nach dem anderen mit einem Plan. Denn dann werden sie sagen: „Was wirst du tun, um einen besseren Ort zu schaffen?“
Wir meinen, dass taktische Provokation die Art und Weise ist, wie man miteinander zu sprechen beginnt. Sie ist nicht das Ende eines Projektes, sondern der Anfang. Also versuchen wir – und das ist sehr wichtig –die Möbel sehr groß und hart zu bauen, um zu provozieren, dass die Leute die Möbel gemeinsam bewegen – auf kollektive Weise. Denn wir wollen eigentlich, dass sich die Möbel bewegen können, aber nicht zu viel. Wenn wir etwas wirklich Kleines bauen würden, könnte das jemand vielleicht mit nach Hause nehmen. Im Design selbst finden wir also auch einige soziale Tipps oder soziale Situationen. Hier gehen außerdem bereits politische Fragen los, z.B. ob das Recht auf die Stadt damit beginnt, dass ich selbst entscheiden kann, wo ich sitzen und mich treffen möchte.
Wir denken, dass wir nicht die Möglichkeit haben, eine wirklich ausschließende Situation zu beseitigen, aber wir haben das Gefühl, dass es sich um eine handelt [...]: die Kontrolle durch die Polizei, durch die gated communities, durch den öffentlichen Raum, in dem es nichts gibt – weder einen Baum noch ein Möbelstück. Wir glauben, dass all das zu einer sehr ausschließenden Situation beiträgt. Es ist also keine Gemeinschaft, die ihre städtischen Verhandlungen ad hoc – im Moment – führen könnte. Wir versuchen, ad hoc mit den Möbeln zu verhandeln. Wir als [kolumbianische] Gesellschaft haben eine Menge Probleme, aber sie [die Nachbar*innen im Wohnkomplex] haben noch mehr. Man findet Opfer und demobilisierte Guerillas des [bewaffneten kolumbianischen] Konflikts im selben Gebäude, das städtebauliche und stadtplanerische Konzept ist schizophren. Es vermischt etwas sehr Komplexes, und versucht dies durch die Polizei und ihre Top-down-Regelungen zu lösen.
Ich denke, wenn du einfach mit den Menschen sprechen würdest, würden sie vielleicht sagen: „Was willst du?", aber wenn du arbeitest, wenn du etwas baust und sie deine Möbel benutzen können… Spätestens mit dem dritten Möbelstück werden sie mit dir gemeinsam arbeiten. Ich denke, es ist wichtig zu wissen, dass eine Werkstatt mit einem strengen Zeitplan nicht funktionieren würde. Für uns würde sie funktionieren, aber nicht für die Menschen [vor Ort]. Einerseits, weil sie vielleicht keine routinierte Kultur der Beteiligung haben. Wenn sie nach und nach eintauchen können, erst beim zweiten oder dritten Mal mitmachen, dann kommen mehr Menschen. [...] Wir legitimieren uns mit unseren Handlungen. Außerdem teilen wir in dem Moment das Gefühl des Ausgeschlossenseins. Sie sehen, dass wir arbeiten. Sie sind müde, Menschen zu sehen, die kommen, um eine Diagnose zu stellen. Ich bin sicher, dass diese Art von Nachbarschaft überdiagnostiziert wird.
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