STADT AUFMÖBELN
Stadtmobiliar ist ein breitgefasster Begriff für Dinge im städtischen Raum, die konkrete Funktionen erfüllen wie Verkehrsschilder, Straßenbeleuchtung, Skulpturen, Mistkübel, öffentliche Toiletten, Haltestellen oder Sitzbänke. Stadtmöbel sind zweckgebunden und fest verankerte Bestandteile der Stadt. Sie strukturieren den öffentlichen Raum und geben vor, wie er zu nutzen wäre und auch verwendet wird. Damit nehmen sie einen wesentlichen Anteil am urbanen Alltag ein. So wie Möbel zuhause sollen auch Stadtmöbel zu einer Aufenthaltsqualität beitragen.
“Street furniture is a rarely observed topic and an apparently absurd combination of words. The term furniture is usually associated with the private sphere, while the street is a public space. The combination is even more bizarre in those Latin languages in which the word furniture derives from the word “mobile,” i.e. something moveable, whereas street furniture is extremely unmovable, as it is usually bolted or fixed to the floor.” (Van Uffelen 2010, 9)
Stadtpark, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Trinkbrunnen Josef-Pfeifer-Park, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Die Sprühnebelduschen von Wiener Wasser (MA31) im Stadtpark (1030 Wien) sollen für Abkühlung gegen Hitze im Sommer sorgen. © Christina Schraml 2021
Öffentliche Personenwaage am Karlsplatz, 1040 Wien. © Christina Schraml 2021
Im städtischen Alltag wirken sie völlig unscheinbar. Um die 150 öffentliche Personenwaagen gibt es in Wien noch.
Telefonzelle Marxergasse, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
In Wien wurden erstmals 1903 Telephonautomaten im öffentlichen Raum aufgestellt.
Telefonzelle Lassallestraße, 1020 Wien. © Christina Schraml 2021
In den letzten Jahren hat sich die Nachfrage und damit auch die Anzahl an Telefonzellen stark verringert. Manche Kabinen haben inzwischen eine neue Funktion bekommen, z.B. offener Bücherschrank.
Würfeluhr am Heumarkt, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Über 200 öffentliche Uhren geben in Wien Auskunft über die Uhrzeit. Die Wiener Würfeluhr prägt seit 1907 das Stadtbild.
Moderne Litfasssäule am Fasanplatz, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Sitzbänke im Märzpark, 1150 Wien. © Christina Schraml 2021
Personenwaage am Reithofferplatz, 1150 Wien. © Christina Schraml 2021
Hängematte Grete-Jost-Park, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Blumentröge Stadtpark, 1010 Wien. © Christina Schraml 2021
Radabstellanlage Naschmarkt, 1060 Wien. © Christina Schraml 2021
Kunst im öffentlichen Raum "Venus" Engerthstraße, 1020 Wien. © Karolina Plaskova 2017
Kaugummiautomat, 1020 Wien. © Karolina Plaskova 2017
Spielplatz, 1020 Wien. © Christina Schraml 2021
Mistkübel, 1020 Wien. © Karolina Plaskova 2017
Müllsammelstation Hainburger Straße, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Poller Hainburger Straße, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Trinkbrunnen Stadtpark, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Öffentliche WC-Anlage im Arenbergpark, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Blumentrog Marxergasse, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
Tischtennis Arenbergpark, 1030 Wien. © Christina Schraml 2021
FreeGym im Vogelweidpark, 1150 Wien. © Christina Schraml 2021
Obwohl Stadtmobiliar so sehr auf unser Zusammenleben in der Stadt einwirkt und die gesellschaftliche Atmosphäre wie den Charakter einer Stadt sichtbar macht, sind seine Potentiale und Funktionen wenig erforscht. Bisher lag der Schwerpunkt der Forschung auf der Funktionalität von Stadtmobiliar: Wie muss Stadtmobiliar beschaffen sein, damit städtischer Raum zielgerichtet erschlossen werden kann? Welches Angebot an Stadtmobiliar braucht es, damit Menschen ihren Aktivitäten – sich ausruhen, essen, sich unterhalten, Schach spielen, Zeitung lesen, etc. – nachgehen können? Unterschiedliche Nutzer*innen, etwa Senior*innen oder Kinder, stellen verschiedene Ansprüche an den öffentlichen Raum und somit an die Beschaffenheit von Stadtmöbeln. Stadtmobiliar beeinflusst unseren Alltag und gibt vor, wie wir Stadt nutzen können und sollen:
"Stadtmobiliar [kann] ohne weiteres als die Gebrauchsanweisung für die Nutzung unserer öffentlichen Räume angesehen werden. Denn Bänke, Poller, Kioske, Wegweiser etc. tun nichts anderes, als uns anzuzeigen, wo und wie wir zu sitzen, nicht zu parken, einzukaufen oder uns zu orientieren haben. Mit jedem weiteren Element im Straßenraum schreiben wir an einer Regel, die die Benutzung des öffentlichen Raums festlegt." (Beucker 2003, 5)
Der amerikanische Soziologe William H. Whyte widmete sich mit seinen Beobachtungsstudien bereits in den 1980er Jahren dem sozialen Aspekt von Stadtmobiliar, also der Bedeutung von Stadtmobiliar für die Aufenthalts- und somit Lebensqualität in „unseren“ Städten. Er untersuchte das Verhalten von Menschen im öffentlichen Raum um herauszufinden, warum Menschen gewisse Orte aufsuchen, während sie andere bewusst meiden. Neben Faktoren wie Stadtklima und Verpflegungsangeboten kam Whyte zu dem Schluss, dass vor allem die menschliche Komponente eine entscheidende Rolle spielt: Menschen werden im öffentlichen Raum von anderen Menschen angezogen (vgl. Whyte 1980). Neben den funktionalen und sozialen Dimensionen spielt die symbolische Bedeutung von Stadtmobiliar eine genauso wichtige Rolle. In Zeiten einer zunehmenden Homogenisierung von Städten (vgl. Zukin 2010) kann Stadtmobiliar zur lokalen Identität einer Stadt beitragen („placemaking“).
"Good public space gives an area identity. It tells the story of a place, encourages encounters or offers other potential uses of a place that suits our specific need at that moment." (Verheul 2017)
Mithilfe einer Kamera und eines Notizblocks beobachtete Whyte den städtischen Alltag im New York der 1980er Jahre. Er untersuchte, warum manche Plätze stark frequentiert werden, während andere ohne Leben und jegliche Aktivitäten bleiben. © William H. Whyte (1980, 17)
Aus Whytes Beobachtungen entstand das „Street Life Project“, eine fortlaufende Studie über das Verhalten von Städter*innen im öffentlichen Raum, die schließlich zur Publikation und zum Film „The Social Life of Small Urban Spaces“ führte. Filmstill © William H. Whyte
Bacherplatz, 1050 Wien
Litfaßsäulen sind analoge öffentliche Werbe- und Informationsträger. Sie prägen das Wiener Stadtbild.
Offenbachgasse, 1020 Wien
In Wien gibt es derzeit rund 20.670 öffentlich aufgestellte Mistkübel der MA 48 - Wiener Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark. (vgl. Jahresbericht 2020 MA 48).
Stadtmöbel bieten Menschen die Möglichkeit, sich (öffentlichen) Raum anzueignen, sich dort auszuruhen oder mit anderen in Kontakt zu treten. Stadtmöbel können genauso auch das Gegenteil bewirken. Sie werden eingesetzt, um das Verhalten von Menschen zu steuern oder um gesellschaftliche Randgruppen aus öffentlichen oder halb-öffentlichen Räumen auszuschließen. Solche Formen von Verdrängung finden meistens subtil statt und sind weit verbreitet: Sitzbänke, durch Metallbügel unterteilt, damit wohnungslose Menschen nicht dort schlafen können, kennt man als wiederkehrende Designelemente aus wohl den meisten Städten. Kleine Mistkübel- Öffnungen verunmöglichen das Suchen nach brauchbaren Abfällen. Klassische Musik aus öffentlichen Lautsprechern schreckt lärmende Jugendliche ab.
Das Projekt „Maßnahmen gegen Obdachlose“ von Virginia Lui und Karolina Plášková ist in einer Dauerausstellung am Wiener Praterstern zu sehen. Darin zeigen sich die Ausgrenzungsmechanismen eines defensiven Designs als Inbegriff für einen Freiheitsverlust im öffentlichen Raum. © Virginia Lui und Karolina Plášková
Mistkübel der Wiener Linien U3 Kardinal-Nagl-Platz © Christina Schraml 2021
Die schmale Öffnung des Mistkübels verhindert, dass jemand hineingreifen und nach Verwertbarem suchen könnte.
„Defensive Architektur“ führt dazu, dass bestimmte Nutzer*innengruppen von öffentlichen Orten ferngehalten werden. Die Aufarbeitung der eigentlichen Problematik bleibt dabei freilich auf der Strecke: Defensives Stadtmobiliar trägt zu einer Verstärkung bestehender sozioökonomischer Ungleichheiten und zu damit verbundenen Ausgrenzungsmechanismen bei. Öffentlicher Raum übernimmt dabei eine wesentliche gesellschaftliche Funktion. Er ist der Begegnungsraum, an dem unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen sollen – als wesentliche Voraussetzung für das Entstehen von Urbanität.
Text: Virginia Lui und Christina Schraml / Jump to Bibliographie
Partizipation – also die Mitbestimmung von Bürger*innen bei der Gestaltung ihres Wohnumfelds – bildet eine wesentliche Voraussetzung für eine Demokratisierung des öffentlichen Raums. Sie kann Menschen eine direkte Stimme verleihen, sie zur Teilhabe ermächtigen und neue Handlungsfähigkeiten erzeugen.
“This co-design process can be seen as a social conversation in which everybody is allowed to bring ideas and take action, even though these ideas and actions could, at times, generate problems and tensions. In short, this means that these involved actors are willing and able to establish a dialogic cooperation. That is, a conversation in which listening is as important as speaking .” (Manzini 2015, 62)
Partizipationsprozesse haben unterschiedliche Beteiligungsebenen (vgl. "Partizipationsleiter", Arnstein 1969). Im Idealfall erzeugen diese Gefühle von kollektiver Verantwortung, Identität und Miteigentümer*innenschaft am öffentlichen Raum. Beteiligte Akteur*innen sollten sich der Machtverhältnisse in Partizipationsprozessen bewusst sein. Die „Auflösung“ von Hierarchien zwischen Expert*innen und Nicht-Expert*innen, ein interdisziplinärer Ansatz für die Planung sowie ein Verständnis, dass Dissens einen wichtigen Anteil am gesamten Prozess einnimmt, sind dabei wichtig. Das Ziel ist nicht notwendigerweise einen vollständigen Konsens in der Planung zu erreichen, sondern vielmehr, dass die diversen Ansichten und Überlegungen Gehör finden und so eine Grundlage für partizipative Demokratie bilden.
Haben Menschen die Möglichkeit, ihr Wohnumfeld mitzugestalten, fühlen sie sich dafür verantwortlich. © Christina Schraml 2017
Partizipation wird mittlerweile als „Standardmethode“ in Planungsprozessen eingesetzt. Um jedoch Partizipationsprozesse in Gang zu setzen, die tatsächlich eine transformative Kraft erzeugen, neue Ansichten zulassen und gemeinschaftliche Aktionen hervorbringen können, bedarf es eines Umdenkens der „Spielregeln“ in einem solchen Prozess. Häufig wird institutionalisierte Partizipation als eine Pseudo-Praxis eingesetzt, die nur einer Stärkung bestehender Machtstrukturen dient. Als erster Schritt zu offen angelegten Partizipationsprozessen muss die Beteiligung von Communities als produktive Chance – und nicht als Hindernis – gesehen werden.
Text: Virginia Lui / Jump to Bibliographie
Stadtpark, 1030 Wien
Auf Wiens Straßen
und öffentlichen Plätzen kommen laut MA 33 (Wien Leuchtet) etwa 164.000 Beleuchtungskörper zum Einsatz.
Stadtpark, 1030 Wien
Die Sprühnebelduschen von Wiener Wasser (MA 31) sollen für Abkühlung gegen Hitze im Sommer sorgen.
Arenbergpark, 1030 Wien
In Wien stehen rund 270 öffentliche WC-Anlagen. In der Josefstadt teilen sich rund 25.000 Bewohner*innen eine Anlage.
Stadtmöbel dienen den Menschen. Ihre Existenzberechtigung erhalten sie jedoch erst durch ihre Nutzung. In der Regel wird Stadtmobiliar von einer Stadtverwaltung errichtet. Dies geschieht zumeist top-down – also ohne Beteiligung der Stadtbewohner*innen. Welche Nutzungen wo möglich und erwünscht beziehungsweise erlaubt sind wird also vorgegeben. Damit werden unausgesprochene wie explizite Normen gesetzt, die vorschreiben, wie wir uns durch städtische Räumen bewegen sollen und welche Nutzer*innengruppen in diesen Räumen akzeptiert und erwünscht sind (vgl. Dellenbaugh 2017).
„[T]he arrangement of elements in space is [...] a key aspect of street furniture. Arrangements can be communicative or solitary. They can provide a place to sit while enjoying the view or while watching the kids play on the playground. The position, orientation and arrangement of benches in particular determine the orientation of bodies in space, and the feature or features of the landscape that those bodies will be oriented towards. This is particularly the case for fixed seating. The supply-driven nature of these types of street furniture means that the user is not the one who makes the decision how close he or she would like to be to any other piece of street furniture, what he or she is looking at, or any other decision in the orientation or arrangement of the street furniture that he or she is using – these decisions are made by the person or entity that designed or otherwise provided the street furniture.” (Dellenbaugh 2017)
Die vorgegebene Anordnung der Sitzmöbel beeinflusst die Orientierung des Körpers und damit auch die Möglichkeiten sozialer Interaktion. © Christina Schraml 2021
Die frei beweglichen Sitzmöbel im Josef-Pfeifer-Park (1030 Wien) machen eine flexible Aneignung möglich. © Christina Schraml 2021
Nun zählt es zu den Aufgaben einer Verwaltung für städtische Infrastruktur zu sorgen. Doch wollen Menschen, die Räume, die sie brauchen, auch selbst gestalten. So beobachtete der Stadtsoziologe William H. Whyte bei seinen Alltagsforschungen im New York der 1980er Jahre, dass Stadtbewohner*innen beispielsweise frei bewegliche Sitzgelegenheiten im Stadtraum gern neu anordnen – selbst wenn sie diese nur um wenige Zentimeter verrückten:
„Chairs enlarge choice: to move into the sun, or to fit, to make room for groups, move away from them. The possibility is as important as the exercise of it. If you know you can move if you want to, you feel more comfortable staying put. This is why, perhaps, people so often move a chair a few inches this way and that before sitting in it, with the chair ending up about where it was in the first place. […] They are a declaration of autonomy, to oneself, and rather satisfying.” (Whyte 1980, 34f)
Parklet „Mitten im Dritten 3.0“ in der Baumannstraße, 1030 Wien © Christina Schraml 2021
Josef-Pfeifer-Park, 1030 Wien
Erfrischung für Mensch und Tier. Rund 1.300 Trinkbrunnen sind über die Stadt verteilt.
Aktive Beteiligung ist essentiell für das Wohlbefinden von Menschen. Sie fördert die Identifikation mit dem öffentlichen Raum – und beugt selbst Vandalismus vor. Der Drang nach (Mit-)Gestaltung von öffentlichen Räumen und damit auch von Stadtmobiliar in einer wachsenden funktionalen Stadt wird vielerorts im Trend der Parklets (ein öffentlich zugänglicher, oftmals von Bewohner*innen gestalteter Aufenthaltsbereich in der Parkspur) sichtbar.
Text: Christina Schraml / Jump to Bibliographie
Stadtmöbel sind Teil der urbanen Infrastruktur, die Ressourcen verbraucht und zu ihrer Herstellung auf Rohstoffe angewiesen ist. Während jährlich 62 Milliarden Tonnen an Rohstoffen und Materialien gewonnen, abgebaut und verarbeitet werden, ist der weltweite Konsum für etwa 2 Milliarden Tonnen Abfall im Jahr verantwortlich (vgl. Flechter 2017). In Zukunft werden sich urbane Infrastrukturen in Anbetracht der ökologischen Herausforderungen selbst erneuern müssen, ohne dabei auf Ressourcen außerhalb der Stadt zurückzugreifen (vgl. Bachmann, in: Hillebrandt et al. 2019).
”The future city makes no distinction between waste and supply.“ (Joachim, in: Hebel et al. 2014, 18)
Durch Prozesse, die linear gedachte Wirtschaftsabläufe (die auf Knappheit und Ressourcen-Überfluss basieren) in zirkuläre Abläufe verwandeln, entstehen resilientere und nachhaltigere Produkte, Dienstleistungen, Materialien, Gebäude und Städte (vgl. Brooker 2017). Diese Prozesse benötigen jedoch Strategien des Abfallmanagements, die über Recycling als Herangehensweise hinausgehen.
“It is safe to say that for many of us, recycling is now part of our everyday life. The concept is so mainstream that it seems quite normal to see it appear in toys for children. [...] But what happens to all of these ‘recycled’ materials? It seems as if recycling is more about waste management than resource conservation.” (Devlieger 2014, 48)
Eine sechs-stufige Abfallhierarchie-Pyramide (Fletcher 2017) setzt Recycling als eine mögliche Strategie des Abfallmanagements nur an vierte Stelle, nach „Reuse“, „Minimierung“ und der „Vermeidung“ von Abfall an oberster Stelle und vor der Verbrennung sowie dem Vergraben als letzte Stufen.
Abfallhierarchie-Pyramide: Die „Abfallhierarchie“ klassifiziert Optionen des Abfallmanagements, je nach dessen Auswirkungen auf die Umwelt. Vorrang wird dabei der Vermeidung von Abfall gegeben. (Fletcher, in: Baker-Brown 2017).
In diesem Kontext kann sich Design (von Stadtmobiliar) nicht mehr nur auf die Gestaltung von Objekten beschränken, sondern muss auch auf die „Biographie der Dinge“ eingehen – „ihr Herkommen, ihre Auswirkungen und ihr Verhältnis zur menschlichen und nichtmenschlichen Welt“ (Goodbun et al. 2018, 23). Up-cycling, re-use, cradle-to-cradle, circular economy, regenerative design, biomimicry, industrial ecology u.a. sind unterschiedliche Strategien, die allesamt darauf abzielen, Abfall zu vermeiden und so nachhaltiges und resilientes Design zu schaffen (vgl. Devlieger 2014)
Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft sollen Bauelemente nach ihrem Abriss in derselben oder einer adaptierten Funktion wiederverwendet werden. Materiallager der MA42 © Martin Färber 2020
Wiederverwendbare Bauteile des standardisierten und erprobten Wiener Stadtmobiliars. Materiallager der MA42 © Martin Färber 2020
Die „12 Principles of Design for Environment” (IDSA in: Baker-Brown 2017, xvii) beschreiben zwölf mögliche Vorgaben, um das Design, die Herstellung und den Gebrauch von Objekten allgemein nachhaltiger und resilienter anzulegen. Zunächst (1) sollen Produkte langlebig und (2) leicht reparierbar gemacht werden. Dinge sollen so konstruiert und gestaltet werden, dass sie (3) wiederaufbereitet und (4) wiederverwendet werden können. Dabei sollten (5) recycelte oder (6) allgemein wiederverwertbare Materialien verwendet werden. Die (7) Trennung der wiederverwertbaren Komponenten eines Produkts von den nicht wiederverwertbaren Komponenten muss vereinfacht werden. Die (8) toxischen/problematischen Bestandteile eines Produkts sollten beseitigt oder vor der Entsorgung leicht austauschbar oder entfernbar gemacht werden. Generell sollten Produkte (9) energie- und ressourceneffizienter gemacht werden und (10) das Produktdesign für die Vermittlung von Kenntnissen zum Umweltschutz genutzt werden. Weiters sollten Produkte entwerfen werden, die eine (11) Verringerung der Abfallquellen bewirken (z.B. Produkte, bei denen kein weiterer Abfall anfällt). Schließlich muss das Produktdesign angepasst werden, um (12) Verpackung zu reduzieren.
Text: Martin Färber und Judith M. Lehner / Jump to Bibliographie
Reindorfgasse, 1150 Wien
Aus Sperrmüll wird Stadtmo- biliar: Bewohner*innen sorgen selbst für ihr Stadtmobiliar.
U6 Dresdner Straße, 1200 Wien
Staudgasse, 1180 Wien
Während der Coronakrise rief die Stadt dazu auf, Pandemie-konforme Sitzmöbel zu gestalten. Das Design- büro mostlikely entwarf das nachhal- tige Modell Plaudereck.
Die Geschichte des Stadtmobiliars in Wien ist eng mit den sich stetig wandelnden alltäglichen Anforderungen einer Großstadt an eine soziale und technische Infrastruktur verknüpft. Insbesondere die fortschreitende Industrialisierung führte durch die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätten dazu, dass sich immer mehr Menschen im öffentlichen Raum bewegten und aufhielten (Magnago Lampugnani 2019). Straßenbeleuchtung, Mistkübel, öffentliche Toiletten, Haltestellen, Sitzbänke, Orientierungsschilder fanden durch private Initiativen und Unternehmen sowie Stadtverwaltungen sukzessive ihren Platz im öffentlichen Raum (zur allgemeinen Geschichte von Stadtmobiliar siehe Magnago Lampugnani 2019). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlangte die zunehmende Beschleunigung des städtischen Verkehrs eine Regulierung für Kraftfahrzeuge, Pferdetramways, elektrische Straßenbahnen und Fußgänger*innen, die in Wien von einer eigens dafür geschaffenen Abteilung für Stadtregulierung verwaltet wurde (Payer 2020a). Während unterhalb des Straßenbelags eine technische Infrastruktur aus Gas- und Wasserleitungen, Kanalnetz und später Telefonleitungen das Alltagsleben am Laufen hielt, waren an der Oberfläche Straßenbeleuchtung, öffentliche Toiletten, Uhren, Brunnen und schließlich auch Telefonzellen zu finden.
Insbesondere an der Straßenbeleuchtung lassen sich technische Errungenschaften und die zunehmende Elektrifizierung der Stadt ablesen. Während die Gasbeleuchtung noch bis 1899 durch ein englisches Privatunternehmen vorangetrieben worden war, entschied der Wiener Gemeinderat im Jahr 1923 die flächendeckende Einführung der elektrischen Beleuchtung und machte diese zur öffentlichen Aufgabe. Damit zählte Wien bereits gegen Ende der 1920er-Jahre zu den „bestbeleuchteten Großstädten der Welt“ (ebd., 14).
Ein Stadtmöbel, das seit dem 19. Jahrhundert den städtischen Alltag vermehrt strukturierte, war die öffentliche Uhr. Öffentliche Zeitanzeigen waren in Form sogenannter Ständer- oder Säulenuhren ab den 1860er Jahren in Wiens Straßen zu sehen (Payer 2014). An der Ringstraße ermöglichten später oktogonale Kioske mit Reklame und Uhren den Passant*innen ein leichtes Ablesen der Uhrzeit Schließlich wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts der bis heute bekannte Typ der Würfeluhr als öffentliche Uhr eingeführt.
Telefonzelle in Wien, bei der Urania, um 1920. © A1 Telekom Austria AG/Archiv
Litfaßsäule. Blick vom Franz-Josefs-Bahnhof gegen die Porzellangasse. © ÖNB, Bildarchiv Austria, 219.602C
Reklame war bald auf tausenden Plakatwänden und mehr als 300 Litfaß- und Reklamesäulen zu finden, welche ab 1921 grossteils von der „Gemeinde Wien – Städtische Ankündigungsunternehmung“ (GEWISTA) der Stadt Wien verwaltet wurden. Auch stieg die Zahl der Telefonzellen bis 1930 im ganzen Stadtgebiet auf 1300 Stück an (Payer 2020a).
“The quickly changing appeals of the metropolis were perfectly reflected in the advertising columns. These became a place of fleeting communication, without social limitation, easily accessible and anonymous.“ (Payer 2020b, 64)
Die 1920 neu geschaffene Magistratsabteilung 18 (damals verantwortlich für die Bereiche Stadtregulierung, Gartenwesen und Bauberatung) war wesentlich für die Stadtmöblierung zuständig (Payer 2020a). Oberstes Ziel war dabei nicht nur der ungestörte Verkehrsfluss, sondern ab 1924 auch die Straßenhygiene durch die Installation von 6.000 „Abfallsammelkörben“ (ebd.).
Die Gestaltung von Stadtmöblierung sollte aus Sicht der zuständigen Stadtverwaltungen zunächst und in erster Linie auf die Erfüllung von Grundbedürfnissen eingehen (Diaconu & Vosicky 2011). Später wurde die Art und Weise, wie diese Grundbedürfnisse gestillt und welch positive Erfahrungen zudem hervorgerufen werden können, wichtiger und die Materialwahl, mögliche soziale Interaktionen und die Auswirkungen auf das Konsumverhalten wurden stärker beachtet (ebd.). In Wien entwarf der Architekt Luigi Blau ab 1989 zahlreiche Objekte einer Straßenmöblierung (Sitzbänke, Straßenbahn-Wartehäuschen, Abfallbehälter, Telefonzellen, Kioske, Altkleidercontainer, Fahrradständer, Blumenkübel, öffentliche Toiletten) unter besonderer Berücksichtigung der Materialität durch gebogene Bleche, feine Stützen, glatte Oberflächen und Glaswände. Anders als in vielen europäischen Städten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts existierte in Wien keine Vereinheitlichung des Stadtmobiliars im Interesse eines aufkommenden Stadtmarketings. Vielmehr werden einzelne Stadtmöbel wie Bänke immer dann durch neue Typen ersetzt, wenn sie aufgrund fehlender Reparaturmöglichkeiten nicht mehr ausgetauscht werden können (ebd.). Zwischen 1991 und 1993 beauftragte die Magistratsabteilung 19 (zuständig für Architektur und Stadtgestaltung) nach einer Auswertung des bestehenden Mobiliars einen Arbeitskreis mit dem Leitbild für eine künftige Straßen- und Platzgestaltung. Die u.a. von den Experten Carl Auböck, Luigi Blau, Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer, Boris Podrecca und Dietmar Steiner erstellten Richtlinien für eine zukünftige und wünschenswerte Stadtgestaltung fokussierten die Vereinheitlichung einiger weniger Elemente (Haltestellen, Telefonzellen, Hydranten, Maste) bei gleichzeitiger Beibehaltung einer moderaten Vielfalt (MA 18 - Stadtentwicklung und Stadtplanung 1995).
Wartehäuschen nach den Entwürfen von Luigi Blau. Ringstraße, 1010 Wien
„Heute ist es die größte Kunst, eine Fläche – Giebel- wand, Straße oder Platz – freizuhalten: von Autos, Pol- lern, Blumenkübeln.“ (Jan Rave, in: MA 18 1995, 10)
Während zu Beginn des vorherigen Jahrhunderts öffentliche Verwaltungen sukzessive die Errichtung und Erhaltung von Stadtmobiliar übernahmen sind diese Tendenzen in den letzten Jahrzehnten zurückgenommen worden. So ist der Mehrheitseigentümer der GEWISTA seit 2010 der international tätige Konzern JCDecaux, dem Stadtmöbel zur Werbung dienen (Pouzenc 2020). Öffentliche Haltestellen werden von JCDecaux kostenfrei für die Stadt aufgestellt, um dort im Gegenzug Werbung zu platzieren. Ziel dieser Public-Private-Partnerships (PPP) ist die Reduktion öffentlicher Ausgaben für Stadtmöblierung (ebd.). Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass etwa in niedrigfrequentierten Haltestellen weniger in den Benutzer*innenkomfort (wie Witterungsschutz, Sitzgelegenheiten) investiert wird. Die Privatisierung von Stadtmobiliar steht häufig in Konflikt mit den Anforderungen der Nutzer*innen. Ob und wie heute bestimmte Stadtmöblierung und damit auch wichtige Infrastrukturen im Stadtraum situiert werden (oder verschwinden) entscheidet damit nicht (allein) die öffentliche Verwaltung. Die Kürzung öffentlicher Budgets und der Anstieg von PPPs sowohl in der Errichtung als auch im Erhalt von Stadtmobiliar machte sich in den vergangenen Jahrzehnten besonders in Stadtentwicklungsgebieten und der Peripherie bemerkbar: Hier wurde weniger in Elemente investiert, welche die Alltagsbedürfnisse von Stadtbewohner*innen im öffentlichen Raum stillen, wie Trinkbrunnen in Parks, Sitzbänke entlang von Straßen, schattenspendende Bäume oder öffentliche Toilettenanlagen. In der Folge entstehen auch in Wien selbstorganisierte Initiativen von Bewohner*innen, die sich um die Errichtung und Erhaltung von Stadtmobiliar kümmern, etwa um Pflanztröge im öffentlichen Raum.
Der kurze Abriss zeigt, wie Stadtmobiliar aus vielfältigen urbanen Bedürfnissen entsteht und wie dessen Erhaltung und Aktualisierung ständiger Aushandlungen verschiedener Akteur*innen und Stadtbe- wohner*innen bedarf.
Karlsplatz, 1040 Wien
Im städtischen Alltag wirken sie völlig unscheinbar. Um die 150 öffentliche Personenwaagen gibt es in Wien noch.
Heumarkt, 1030 Wien
Über 200 öffentliche Uhren geben in Wien Auskunft über die Uhrzeit. Die Wiener Würfeluhr prägt seit 1907 das Stadtbild.
„Die Grundstruktur der Geschichten, welche die kleinen Objekte erzählen, ist stets dieselbe. Am Anfang steht eine praktische Notwendigkeit, eine Funktion, eine Nutzung. Dieser Bedarf hat soziale, politische, religiöse oder ideologische Gründe und wird ihretwegen erfüllt. Dazu braucht es eine entsprechende ökonomische Verfügbarkeit […]. Das Objekt wird mit bestimmten Materialien realisiert, die mittels bestimmter Techniken hergestellt und eingesetzt werden. Sie hat auf dafür geeignetem, verfügbaren Boden zu erfolgen, darf keine Eigentumsrechte verletzen und muss den geltenden Baugesetzen entsprechen. Die Ausführung ist auf die klimatischen und hygienischen Gegebenheiten auszurichten. Bau und Unterhalt werden durch dafür kompetente Institutionen gewährleistet. […] Mit anderen Worten: Jedes kleine Objekt des Stadtraums ist ein Ort, wo konkrete Bedürfnisse zu einer materialisierten Form finden.“ (Magnago Lampugnani 2019, 11)
Vittorio Magnago Lampugnani zeigt mit seinem Buch zu Stadtmöbeln auch auf, dass Regeln zu dessen Errichtung immer auf historischen, sozialen, ökonomischen sowie institutionellen Aspekten gründen. Oftmals kann die Relevanz existierender Regeln in Frage gestellt werden, wenn durch sie funktionale und soziale Bedürfnisse nicht erfüllt werden können.
Die selbstinitiierte Einrichtung einer Straße. Adamsgasse, 1030 Wien
Zu den städtischen Einrichtungen, die in Wien die Stadtmöblierung verwalten, gehören die MA 19 „Architektur und Stadtgestaltung“ (verantwortlich für die Gestaltung des öffentlichen Raums) und die MA 42 „Wiener Stadtgärten“ (u.a. verantwortlich für die Errichtung von Parkanlagen sowie Kinderspielplätzen). Eine Reihe von Normen und Richtlinien sorgen für Sicherheit, Materialbeständigkeit, barrierefreie Benützung und Wartungsmöglichkeiten (z. B. ÖNORM B 2607 und ÖNORM EN 1176-1 für Kinderspielplätze, ÖNORM B 1600 für Barrierefreiheit, OIB Richtlinie 4 (Mauerhöhe, Gelände),... ).
„Eine Voraussetzung für die Gestaltung des urbanen Raumes ist das Wissen um Rechte, Möglichkeiten und Formen urbanen Engagements.“ (dérive 2012, 5)
Wohl auch weil Stadtmöblierung grossteils top-down errichtet und verwaltet wird und die Art der Benützung damit stark reguliert ist, entstehen in Wien vermehrt Initiativen, die an der Gestaltung und Adaptierung von Stadtmobiliar im öffentlichen Raum mitwirken (vgl. Kuč 2020). „Urban gardening“, die Nutzung von Parklets oder etwa auch das „PARKmobil” (ein umfunktioniertes Fahrzeug, bei dem die Ladefläche als Schanigarten und Kommunikationsraum genutzt wird) (dérive 2012, 38ff), schaffen neues (temporäres) Stadtmobiliar, das nicht von der öffentlichen Hand ausgeht.
Bewohner*innen der Stadt bringen implizites Wissen über alltägliche Nutzungen und Bedürfnisse in der Stadt für die Gebrauchsfähigkeit von Stadtmobiliar ein. Gleichzeitig muss dieses implizite Wissen für Behördengänge, ergänzende Auflagen und notwendige Absprachen mit Entscheidungsträger*innen zusätzlich zu den rechtlichen Rahmenbedingungen (kollektiv) operationalisiert und in sinnvolle Handlungsschritte übersetzt werden (vgl. Urban Equipe & Kollektiv Raumstation 2020).
Text: Judith M. Lehner
Bewohner*innen bringen ihr Wissen beim Beteiligungsworkshop zur Parkanlage Offenbachgasse im September 2020 ein. Filmstill © Anna Vasof 2020
Experimentierfelder für
Stadtbewohner*innen
Ein Gastbeitrag von Erich Streichsbier (MA 19 - Architektur und Stadtgestaltung)
Erich Streichsbier lebt und arbeitet in und für die Stadt Wien, als Grundlagenforscher und Urban Designer, in der Abteilung für Architektur und Stadtgestaltung (MA 19). Er studierte Architektur an der TU Wien (2001) und Führung, Politik und Management am FH Campus Wien (2021). In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit generellen Fragen zum Stadtbild und berät zur Entwicklung der Stadtgestalt, des öffentlichen Raums und zum Stadtentwicklungsplan. Er begleitet übergeordnete Planungen, Sozialraumanalysen, Beteiligungsprojekte, Maßnahmen zur Klimawandelanpassung und Pilotprojekte im öffentlichen Raum.
Wien liegt seit Jahren im Wettbewerb um die lebenswerteste Metropole der Welt vorne. Doch der Klimawandel trifft die Stadt hart. Will sie ihre Lebensqualität trotz steigender Temperaturen weiterentwickeln, müsste ihr öffentlicher Raum umfassend transformiert werden: Eine enorme Herausforderung, denn die Umverteilung von Flächen des motorisierten Individualverkehrs zugunsten anderer Nutzer*innengruppen war noch vor wenigen Jahren bei der Bevölkerung wenig populär. Ein Meinungsumschwung für einen grüneren, kühleren und sinnesfreundlicheren Stadtraum zeichnet sich jedoch durch die Klimakrise nach und nach ab. Zu laufenden politischen Diskursen über die Bewältigung der Klimakrise gesellen sich nun Herausforderungen wie die Pandemie, die Ukraine-Krise und eine von Digitalisierung und Social Media forcierte Beschleunigung, Entfremdung und Zerklüftung der Gesellschaft. Die zeitgerechte, demokratische Lösung wichtiger politischer Probleme wird dadurch immer schwieriger (vgl. Rosa 2013, 102 f.). Die Bevölkerung fühlt sich teils ohnmächtig und frustriert von Politik und Planung, und oftmals zu wenig in alltäglichen Bedürfnissen wahrgenommen. Unter diesen Voraussetzungen ist es für demokratische Politik und eine anpassungsfähige Verwaltung von Vorteil, die Agilität nachbarschaftlicher Netzwerke zu stärken, Kooperationen zu aktivieren und Bürger*innen Freiräume zu ermöglichen, in denen sie selbst Wirkung erzielen und ihre Lebenswelt aktiv verändern und mitgestalten können. Die Wienerinnen und Wiener sind Expert*innen für ihre jeweilige Wohnumgebung, ihre Mitsprache in Planungsprozessen fördert die Anzahl und die Qualität nachbarschaftlicher Kontakte und sozialer Netzwerke. Die Politik kann ihrerseits durch die Einbindung der Bevölkerung in wichtige Zukunftsentscheidungen entlastet werden. Die Aktivierung und Beteiligung von Bürger*innen bei der Gestaltung des öffentlichen Straßenraums schafft mehr Akzeptanz, größere Zufriedenheit mit der Wohnumgebung und gesellschaftliche Resilienz. Neu Gebautes kann so nachhaltig wirksam werden. Wenn die Stadt Wien Testballons in Form von Pilotprojekten aufsteigen lässt, können diese dabei helfen, den gesellschaftlichen Sinneswandel zugunsten einer naturnahen, sinnesfreundlichen Ausgestaltung des öffentlichen Raums zu verstärken (vgl. Diaconu 2012, 12 ff.). Experimentierfelder fördern neue Denkweisen und bereiten den Nährboden für mehrheitsfähige Visionen zum öffentlichen Raum von Wien und seines Stadtmobiliars.
Im Pilotprojekt Re-Sourcing Commons (siehe S.198), das im Auf- trag der Abteilung für Architektur und Stadtgestaltung begonnen und durch den Bezirk Leopoldstadt in Kooperation mit den Wiener Stadtgärten umgesetzt wurde, hat die Universität für angewandte Kunst mit ihrer Abteilung „Social Design“ die oben erwähnten sozialen und partizipativen Ansätze mit dem Zukunftsthema Kreislaufwirtschaft verknüpft: Teile des „Offenbachparks“ wurden abgebaut – und nach Einbindung der Nachbarschaft – aus seinen Abbauprodukten der neue Fritzi-Massary-Park wieder aufgebaut. Dabei kamen neue Möbeldesigns (z.B. eine Hollywoodschaukel) aus alten Stahlrohrbänken zum Einsatz. Stadtmöbel mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten gehen in diesem Projekt speziell auf die Bedürfnisse jener Gruppen ein, die von der gegenwärtigen multiplen Krise hart getroffen werden. Senior*innen bleiben in dem neu gestalteten Park durch schattige Verweilplätze auch an Hitzetagen aktiv. Über sichere und kühle Trittsteine können sie Arzt, Einkaufsmöglichkeiten und soziale Treffpunkte besser erreichen. Jugendliche erhalten spezielle Rückzugsräume für altersadäquate Freizeitbeschäftigungen.
Wenn sich Menschen in ihrer Umgebung wohl fühlen und ihre Nachbar*innen kennen, wird die Verweildauer im öffentlichen Raum verlängert. Autofahrten in das grüne Umland werden tendenziell reduziert und weniger Sprit verbraucht. Bürger*innen werden im Rahmen alltäglicher Erledigungen zum Gehen ermuntert. Die Wiederverwendung von abgebautem Material und von Lagerplätzen reduziert den CO2-Ausstoß zusätzlich. So kann ein mehrfacher Steuerungseffekt zugunsten Klimaschutz, Wohnzufriedenheit, gesellschaftlicher Resilienz und Gesundheitsvorsorge entstehen. Der Wiener Straßenraum ist und wird – angetrieben vom Klimawandel, Stadtwachstum, Pandemie, Energiekrise und Inflation – immer mehr als bloßer Verkehrsraum. Facettenreiche Stadtmöbel und noch mehr Begrünung machen Lust darauf, ihn verstärkt als Raum für positive Sinnesanreize, für geistiges und körperliches Wohlbefinden wahrzunehmen. Der öffentliche Raum wird von der Politik auch zunehmend als symbolisches Kommunikationsmedium verstanden, das im Idealfall kollektiv geteilte Werte wie Inklusion, sozialen Ausgleich, Fairness, Chancengleichheit und eine Verbesserung der Lebensqualität aktiv vermittelt (vgl. Hasse 2012, 18 ff.). Pilotprojekte wie der Fritzi-Massary-Park bieten Experimentierfelder, die den Wienerinnen und Wienern anschaulich vor Augen führen, wie Klimaschutz, internationale Wettbewerbsfähigkeit, immaterielle Nachhaltigkeit, soziale Resilienz und höchste Lebensqualität auch in Zukunft Hand in Hand gehen könnten.
Josef-Strauß-Park, 1070 Wien
Kardinal-Nagl-Platz, 1030 Wien
Schaukeln, Klettern, Drehen. Stadtmobiliar mit Spiel- und Bewegungsangebot.
Arthaberplatz, 1100 Wien
In vielen Wiener Parkanlagen stehen bunte Wellenbänke. Sie sollen unterschiedliche Nutzungsbedürfnisse in einem Stadtmobiliar abdecken.
„Contested Public Space“:
Gesellschaftliche
Aushand lungsräume
Kathrin Wildner im Gespräch mit Martin Färber
und Christina Schraml (Social Design Studio)
Kathrin Wildner forscht als Stadtethnologin zu Theorien des öffentlichen Raumes, zu transnationalen Aspekten von Urbanismus wie Fragen des Urban Citizenships. Mit den (künstlerischen) Methoden Sound, Mapping und Walking beteiligt sie sich an Ausstellungen, Workshops, Publikationen und anderen performativen Formaten der Vermittlung. Von 2012 bis 2021 war sie Professorin im Fachbereich „Kultur der Metropole“ an der HafenCity Universität Hamburg, zwischen 2013 und 2015 Gastprofessorin im Masterstudiengang „Raumstrategien“ an der Kunsthochschule Weißensee, Berlin. Sie ist Gründungsmitglied von metroZones – Zentrum für städtische Angelegenheiten. www.metrozones.info www.kwildner.net
SDS Der Druck auf den öffentlichen Raum ist groß. Hier treffen unterschiedliche Akteur*innen mit unterschiedlichen Interessen und Erwartungen aufeinander. Wo siehst du den wirksamsten Hebel, um öffentlichen Raum inklusiver und sozial nachhaltiger zu gestalten?
KW Ich denke, es geht zuerst einmal darum anzuerkennen, dass der öffentliche Raum nicht einfach da ist, sondern dass er ständig und immer wieder „hergestellt“ werden muss. Oder anders gesagt: Öffentlicher Raum ist kein Ort oder Ding, sondern ein Prozess, eine Momentaufnahme, geprägt von Beziehungen und damit auch von Machtverhältnissen. Der spanische Ethnologe Manuel Delgado beschreibt in seinem Buch „El animal publico“ den Menschen als öffentliches Tier – der öffentliche Raum ermöglicht diesen Wesen ein Zusammentreffen, ein Aufeinandertreffen von Gleichgesinnten und von Fremden. Der öffentliche Raum hat etwas Gemeinschaftliches, zugleich kann er niemals für Alle gleichermaßen zur Verfügung stehen. Es gibt also nicht DIE Öffentlichkeit, Nancy Fraser spricht von Teilöffentlichkeiten.
Öffentlicher Raum ist demnach ein Raum der Aushandlungen, ein umkämpfter Raum, eben nicht der geplante, geregelte, kontrollierte oder rational verwaltete Raum, sondern der spontane, nicht kalkulierbare, auch flüchtige Raum, der sich durch das Unvorhersehbare auszeichnet. Darüber hinaus gibt es sehr unterschiedliche, vor allem widersprüchliche Vorstellungen, was öffentlicher Raum leisten kann: Das Picknick im Park scheint ein urbanes Freizeitvergnügen, um der Enge der Mietwohnungen zu entkommen und andere Menschen zu treffen; sonntägliche informelle Märkte und Karaoke Partys auf Plätzen sind Inbegriff von Urbanität, die Bestückung von Plätzen mit Strandkörben und Liegestühlen sind allerdings erste Anzeichen einer Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes; Hundebesitzer*innen, Scater*innen, Nachtschwärmer*innen, Freilufttrinker*innen, Drogenkonsument*innen oder Eltern mit Kleinkindern haben nicht nur sehr verschiedene sondern meist nicht vereinbare Anforderungen an den städtischen Raum.
SDS Als international tätige Stadtethnologin beschäftigst du dich intensiv mit dem Alltagsverhalten der Menschen im öffentlichen Raum. Welchen Einfluss hat die gebaute Umwelt auf das Verhalten der Menschen und ihre sozialen Beziehungen? Gibt es nennenswerte Beispiele aus deiner internationalen Forschungspraxis – vor allem in Bezug auf (soziale) Stadtmöblierung?
KW Bei Überlegungen zur „Gestaltung“ dieses zuvor beschriebenen Raumes muss Diversität die Grundlage sein. Wie das NichtPlanbare planen? Und wie dafür Möbel entwickeln? Das Wort „Möbel“ ist trügerisch, es verweist auf Inneneinrichtungen, auf etwas Intimes, auf „zu Hause“, aber das ist der öffentliche Raum nicht. In den tritt man hinaus und trifft dabei auf das Fremde. Ganz abgesehen davon, dass die meisten „Stadt-Möbel“ ganz und gar nicht dafür da sind, dass man auf ihnen schlafen oder herumhängen kann. Oft verhindern sie sogar genau das. Meist sind die Möbel disziplinierende Objekte, die ganz spezifische Nutzungen vorgeben und Begegnungen bewusst lenken – durch ihre Positionierung, den Abstand zwischen den Elementen, das Material.
In den 1980er Jahren hat William Whyte am Beispiel von Corporate Plazas zwischen den Skyscrapern von Manhattan untersucht, wie Menschen den öffentlichen Raum nutzen, wie die gebaute Umwelt unser Verhalten prägt, wie einzelne Elemente – etwa mobile Bänke oder Stühle – das soziale Miteinander der Menschen auch fördern können. Diese Studie erscheint mir immer noch als eine sehr gute und wichtige Grundlage für jede Beschäftigung mit dem öffentlichen Raum. Das bedeutet zunächst eine intensive Erforschung des konkreten Ortes. Wer nutzt den Raum? Wer hält sich dort auf? Was wird gebraucht? Die Gestaltung müsste aus der Nutzung des Ortes bzw. gemeinsam mit den Nutzer*innen entwickelt werden. Diese Forschung sollte allerdings über die Methoden der Beobachtung hinausgehen (Whyte ging da ja eher beobachtend und quantitativ vor) – etwa Methoden subjektiver Erfahrungen einbeziehen, oder auch künstlerische Praktiken, die Interventionen und Inszenierungen ermöglichen. Es geht darum, die Gestaltung des öffentlichen Raumes als einen offenen Prozess von Erfahrungen und Praktiken zu verstehen.
SDS Einer deiner Schwerpunkte liegt auf der Erforschung lateinamerikanischer Städte. Was macht den öffentlichen Raum in Städten wie Mexiko-City aus? Welche Beobachtungen hast du dort gemacht – inwiefern „möbeln“ Stadtbewohner*innen den öffentlichen Raum eigenständig „auf“?
KW Mir erscheint es romantisierend, wenn oftmals davon die Rede ist, dass die Straße als erweitertes Wohnzimmer dienen soll, wo sie doch bereits für sehr viele Menschen der Lebensraum ist. Was bedeutet das Wohnzimmer und für wen? Der urbane, öffentliche Raum ist der Raum der Anonymität, in den man tritt, in den man zugleich Beobachter*in und Beobachtete/r ist, sagt Richard Sennett. Das ist allerdings auch ein sehr westliches bürgerliches, männliches Konzept, genauso wie die Figur des Flaneurs, des Spaziergängers im öffentlichen Raum. Was es für Frauen bedeutet, sich in diesem Raum aufzuhalten, ihn sich anzueignen, hat die indische Autorin Shilpa Phadke gemeinsam mit Aktivistinnen in ihrem Buch „Why Loiter? Women And Risk On Mumbai Streets“ sehr eindrücklich beschrieben. Aber auch das Buch „Flexen“ – eine Ansammlung von Texten, geschrieben und erlebt von Frauen*, PoC oder queeren Menschen – zeigt, wie eine Wahrnehmung und Aneignung des öffentlichen Raumes mit den jeweiligen Perspektiven und Erfahrungen zu tun haben.
Im Prinzip geht es immer wieder um die Frage der Machtverhältnisse, der Kontrolle und Ausgrenzung – wer entscheidet, was passieren darf und kann, wer hat die Kontrolle über den Raum? Wer ist sichtbar und wer bleibt unsichtbar? Und das sieht in verschiedenen Gesellschaften, an verschiedenen Orten unterschiedlich aus: In mexikanischen Städten gibt es eine strenge Trennung von privat und öffentlich, dem ummauerten Innenhof und dem ungeschützten Außen auf der Straße. In alten islamischen Städten gab es Sequenzen von Öffentlichkeiten. Die Unterscheidung begann im Haus, in dem es private Räume der Frauen gab und eine Reihe von Räumen, die für unterschiedliche Personen zugänglich waren. Das Prinzip setzt sich in den Straßen fort. In den kleinen nachbarschaftlichen Straßen fallen Neuankömmlinge sofort auf. Auf den Plätzen vor den Moscheen, in den Karawansereien, wird die Begegnung mit den Reisenden und Fremden erwünscht, gefördert und zum Prinzip des Raumes.
SDS Warum verhalten sich Wienerinnen und Wiener eher „passiv“ wenn es um die Mitgestaltung ihres Wohnumfeldes geht? Ist der Bedarf, sich den öffentlichen Raum anzueignen, geringer als in anderen Städten? Wollen oder können sich die Stadtbewohner*innen nicht aktiv an der Gestaltung ihres Wohnumfeldes einbringen? Welche Voraussetzungen müssten gegeben sein, damit Freiräume gemeinsam (zurück-)erobert werden (können)?
KW Das Aneignen von Räumen kann man lernen, aber es ist meist nicht im Interesse derjenigen, die einen Raum gestalten, verwalten, kontrollieren wollen, dass sich die Menschen organisieren und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Vielmehr steht das Private im Vordergrund, das Eigene, das geschützt werden muss durch Zäune oder andere Arten der materiellen Ausgrenzung.
Die diverse, inklusive Stadt ist eine vielgestaltige, widersprüchliche Stadt, sie ist laut und anstrengend. Shared Spaces, dieses Planungskonzept zur Neuorganisation der Straßen und des Verkehrs – eben ohne (Verkehrs-)Regeln – scheint mir ein sehr spannender Versuch. Es zeigt, welche Aufmerksamkeit und Kompromisse notwendig sind, wie Entschleunigung produziert wird. Und es macht die Grenzen des Aushandelns deutlich, nicht alle Nutzungen sind gleichermaßen „effizient“. Einige Menschen mögen diese offenen Prozesse nicht, denn sie erfordern eine Auseinandersetzung. Das Befolgen von Regeln ist einfacher. Dennoch könnte das ein Anfang sein, dieses Prinzip des gemeinsamen geteilten Raumes, für den alle gleichermaßen – und trotz unterschiedlicher Interessen – verantwortlich sind, auf andere (öffentliche) Orte zu übertragen. Und dann zu fragen, ob es spezifische Formen der Gestaltung oder Materialien gibt, die solche Aushandlungsprozesse fördern oder ermöglichen.
Als öffentliches Element ließe sich da über eine Bank nachdenken, denn die Bank ist ein vielseitiger Ort. Wenn sie nicht aus fixierten einzelnen Sitzflächen besteht, kann man sich zwar alleine auf der Bank ausbreiten, aber auch immer enger zusammenrücken, wenn noch jemand hinzukommt und sich setzen mag. Um Bänke kann man sich gar versammeln – es sind öffentliche Orte und eine Bank lässt sich nur bewegen, wenn alle, die auf ihr sitzen, auf einmal aufstehen und sie gemeinsam verrücken.
Arnezhoferstraße, 1020 Wien
Die Straßensperren im Stuwerviertel, die ursprünglich errichtet wurden, um Straßenprostitution zu unterbinden, sorgen heute für eine Verkehrsberuhigung.
Helmut-Zilk-Park, 1100 Wien
Sportliches Stadtmobiliar: Tischtennis-Tische sind nachbarschaftliche Mikro-Zentren.
Hietzinger Kai 7-9, 1130 Wien; Rudolf-Zeller-Gasse 14, 1230 Wien
Rutsche, Wippe, Klettergerüst: Spielgeräte sind eigens für Kinder entwickelte Stadtmöbel.
Hietzinger Kai 7-9, 1130 Wien; Rudolf-Zeller-Gasse 14, 1230 Wien
Rutsche, Wippe, Klettergerüst: Spielgeräte sind eigens für Kinder entwickelte Stadtmöbel.
„Let's Take Back Our Space“:
Lokalaugenschein Paris
Dorota Ślązakowska und Giulia Zonca (DUO ZS) im Gespräch mit Martin Färber und Christina Schraml (Social Design Studio)
Giulia Zonca und Dorota Ślązakowska lernten sich 2008 – im ersten Jahr ihres Architekturstudiums an der Paris- Malaquais – kennen. Seither arbeiten sie zusammen und gründeten 2016 das DUO ZS, ein Studio, das zwischen Architektur, Design und Theorie angesiedelt ist. Ihr Ansatz ist transdisziplinär, feministisch und ökologisch, wobei sie hauptsächlich mit Re-Use Materialien arbeiten. Im Jahr 2018 gründeten sie gemeinsam mit anderen Architektinnen die Vereinigung IHCRA, als Gegenposition zu ARCHI. IHCRA zielt darauf ab, die Art und Weise des Denkens und der Produktion von Raum neu zu definieren: inklusiv und intersektional. Dorota und Giulia sind Freundinnen, kreative Partnerinnen und Aktivistinnen, die in den unterschiedlichen Prozessen der Raumgestaltung nach Solidarität und Wohlbefinden, diese zu schaffen wie zu teilen suchen.
www.z-s.fr www.ihcra.fr
SDS Der öffentliche Raum ist für alle da. Dementsprechend sollte auch Stadtmobiliar für alle da sein. Als Mitglieder des IHCRA-Netzwerks setzt ihr euch für mehr Gerechtigkeit und Vielfalt bei der Gestaltung unserer Städte ein. Wo seht ihr den größten Handlungsbedarf in Bezug auf Stadtmöblierung beziehungsweise wo finden Ausgrenzungsmechanismen aufgrund vorherrschender Machtverhältnisse statt?
DUO ZS Das Thema öffentlicher Raum und Stadtmobiliar ist breit gefächert und Teil eines komplexen Netzwerks von Elementen, die Raum im Allgemeinen ausmachen. Es reicht von dem Recht, die Toiletten eines Cafés zu benutzen, in dem man keine Kundschaft ist, bis hin zur Möglichkeit, sich auf eine Parkbank zu legen, weil man keinen anderen Schlafplatz hat. Im öffentlichen Raum werden gesellschaftliche Fragen verhandelt: Gibt es ein Recht, nachts zu feiern und laut Musik zu hören? Dürfen die Menschen ihre Wut oder Bedürfnisse während einer Demonstration auf der Straße äußern (ohne dabei von der Polizei angegriffen zu werden)? Gibt es Zugang zu Trinkwasser, zu Strom, um ein Telefon zu laden? Gibt es ausreichend grüne Erholungsräume? Ist die Luft sauber? Gibt es die Möglichkeit, Hab und Gut temporär an einem sicheren Ort zu verwahren? Kann man sich im öffentlichen Raum bewegen, ohne belästigt zu werden – sich wohl und sicher fühlen? Alle diese Fragen können entweder durch Gesetze und Verordnungen geregelt werden, die von Menschen (oft einander sehr ähnlichen Menschen) beschlossen und durchgesetzt werden. Oder sie können durch Formen, Materialien und Funktionen beeinflusst werden, die ebenfalls von (einander sehr ähnlichen) Menschen entworfen werden. Sie können auch von anderen Menschen – Nutzer*innen, Bewohner*innen, Café-Besitzer*innen – (mit-)entschieden werden.
SDS Welche Rolle spielen die Bewohner*innen von Paris – also der Stadt, in der ihr beide lebt und arbeitet – in der Mitgestaltung des öffentlichen Raums? Können sie mitreden? Eignen sie sich öffentlichen Raum an? Welche Rolle spielt dabei die Stadtverwaltung?
DUO ZS DerUmgangmitdemöffentlichenRauminParisspiegeltdie französische Gesellschaft. Die Stadt macht Politik für Wohlhabende und Tourist*innen. Paris muss den Status als eine der meistbesuchten Städte der Welt behalten, und es ist klar, dass Entscheidungen auf dieses Ziel ausgerichtet sind. Die Heuchelei besteht darin, dass die heutige Realität der Stadt – immer mehr Obdachlose, Flüchtlinge, Prekarität, forcierte Gentrifizierung – nichts mit dem Bild zu tun hat, das die Pariser Politik „der Welt“ vermitteln will. Wie beim bekannten „Paris-Syndrom“ [1] versucht die Stadtpolitik nicht wirklich danach zu handeln, was die Probleme der Stadt betrifft, sondern danach, wie sie die Stadt gerne hätte. Natürlich gibt es viele gute Initiativen. Mehr Fahrradwege und mehr autofreie Zonen, wie die Docks an der Seine. Es gibt ein Gesetz zur Mietpreiskontrolle (das allerdings nicht immer angewendet wird). Und zum Beispiel wurde die Renovierung der historischen Plätze von Paris mit dem Kollektiv Les Monumentales (siehe S. 102) geplant, das einen geschlechtsspezifischen und inklusiven Fokus verfolgt. Alle diese Initiativen stehen jedoch im Widerspruch zu anderen Botschaften, welche die Stadt ihren Bewohner*innen und Nutzer*innen vermittelt. Es gibt viele abwehrende Strukturen auf den Straßen, die Wohnungslose verdrängen, z.B. Armlehnen zwischen Bänken, damit man sich nicht hinlegen kann, usw. Polizeigewalt kommt täglich vor und ist bei Protesten „Normalität“. Die extreme Verteuerung am Wohnungsmarkt selektiert Bewohner*innen und verdrängt weniger Wohlhabende, was zu einer steigenden Uniformierung der Bevölkerung führt.
[1] Das Paris-Syndrom ist ein Gefühl der Enttäuschung, das manche Menschen bei einem Besuch in Paris empfinden, weil die Stadt nicht darstellt, was sie erwartet hatten. Dieser Zustand wird als ein Kultur- schock erlebt.
SDS Was müssen Designer*innen bei der Gestaltung von Stadtmöbeln beachten, damit verschiedene Nutzer*innengruppen Aneignungsmöglichkeiten haben?
DUO ZS Als Architektinnen und Designerinnen stellen wir uns die Frage, wie wir gegen Ausgrenzungsmechanismen vorgehen können. Wenn wir im Rahmen eines privaten Projekts beauftragt werden, Möbelstücke zu entwerfen, erwarten sich die Menschen in der Regel, dass wir ihnen einen fertigen Vorschlag präsentieren. Wir sehen die Entwurfsarbeit aber als kollektiven Prozess und beziehen die Men- schen ein. Wenn sie erkennen, dass sie das Recht haben, sich kreativeinzubringen, können wir uns konstruktiv austauschen und gemeinsam etwas erarbeiten. Am Ende des Projekts steht ein Objekt, das für diesen Austausch steht. Der neue Tisch ist dann nicht nur wegen seiner unterschiedlichen Materialien und seiner Abmessungen schön, sondern weil er eine Geschichte erzählt, einen gemeinsamen Moment zwischen Menschen festhält, die sich vorher nicht kannten und nun etwas voneinander gelernt haben. Wir sehen unsere Arbeit als einen Weg, Momente der Menschlichkeit zu schaffen, in denen Menschen ihr Recht entdecken können, darüber nachzudenken, was ihnen gut tut. Und sie erkennen neue Handlungsmöglichkeiten, um das, was sie umgibt, zu verändern. Das ist besonders wichtig, wenn man in einem Land lebt, das mit Problemen paternalistisch umgeht – das reicht von den absurden Formularen, die wir während des Covid-Lockdowns ausfüllen mussten, um uns in der Stadt bewegen zu können [2], bis hin zu der Art und Weise, wie wir in der städtischen Beschilderung angesprochen werden [3], oder sogar dem verinnerlichten Sexismus, der während der #metoo-Bewegung seinen Höhepunkt fand, als unsere Ikone Catherine Deneuve und viele andere, das „Recht“ einforderten, „auf der Straße belästigt zu werden.“
[2] Während des ersten Lockdowns in Paris mussten wir Formulare ausfüllen, um uns im städtischen Raum zu bewegen und um zu „beweisen“, dass wir einen guten Grund dafür hätten. Es wurde zu einer Art Running Gag, jede/r bewegte sich mit vielen ausgefüllten Formularen durch die Stadt – voller Ausreden – um spazieren zu gehen, etc.
[3] Die übliche Formulierung der städtischen Beschilderung lautet: „An diesem Ort tue ich dies, aber das tue ich nicht!“. Im Französischen klingt das so, als würde man einem Kind erklären, wie es sich (nicht) zu verhalten hat, und damit die ganze Bevölkerung bevormunden.
SDS In eurem Studio legt ihr großen Wert auf Nachhaltigkeit. Wo seht ihr das größte Potential bei der Gestaltung von Stadtmöbeln, um den öffentlichen Raum (und Stadtmöbel) sozial nachhaltig zu gestalten?
DUO ZS Die Projekte, die wir im Zusammenhang mit (sozialer) Nachhaltigkeit am relevantesten finden, sind diejenigen, die das Verantwortungsbewusstsein und die Handlungsfähigkeit der Menschen stärken. Auf institutioneller Ebene ist zum Beispiel das Projekt Les Cours Oasis interessant, das in mehreren Grundschulen über längere Zeiträume stattfindet. Im Projekt geht es um die kooperative Renovierung von Schulhöfen mit allen Akteur*innen der Schule – Verwaltungsangestellte, Lehrer*innen und Kinder – in einer nicht-binären, nicht einseitigen Weise und mit einem ökologischen Schwerpunkt. So soll zum Beispiel ein großer Fußballplatz in der Mitte von Schulhöfen vermieden werden, damit Mädchen nicht an die Seiten „verdrängt“ werden und der gesamte Hof ohne Vegetation bleibt. Eine zentrale Idee ist auch, die Höfe an Wochenenden zu öffnen, um den Bewohner*innen des Viertels mehr Grün- und Erholungsflächen zur Verfügung zu stellen. Die Reaktionen auf dieses Projekt sind großartig: Erwachsene lernen, wie sie ihre sozialen Vorurteile abbauen können, während Kinder lernen, dass Spielen und Raumnutzung nichts mit Geschlecht zu tun haben und dass sie bei der Gestaltung der von ihnen genutzten Räume mitreden können. Außerdem erhalten die Bewohner*innen Zugang zu Räumen, die sonst die meiste Zeit geschlossen und unbenutzt blieben. Auf einer anderen Ebene senden die feministischen Collagen und Malereien (z.B. www.instagram. com/douceurxtreme) auf der Straße eine deutliche aktivistische Botschaft. Es gibt offene Anleitungen und Gruppentreffen auf sozialen Plattformen, um sich der Bewegung und den Aktionen anzuschließen. Diese Interventionen sind aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit auf der Straße sehr wirkungsvoll. Sie sind sogar noch mächtiger in einer Stadt, in der Kunst im öffentlichen Raum immer noch als eine Degradierung öffentlicher Güter angesehen wird und in der jeder Platz für solchen Ausdruck ständig eingeschränkt wird, um die Stadt „schön“ zu halten. Die Gestaltung des öffentlichen Raums, sei es auf offizielle oder inoffizielle Weise, ist eine gute Möglichkeit, mit den Menschen in Dialog zu treten. Der städtische Raum ist eine Kombination von Botschaften, die den ganzen Tag über ausstrahlen, während man sich durch die Stadt bewegt. Viele dieser Botschaften repräsentieren die Werte der ultrakapitalistischen Gesellschaft, in der wir leben. Je mehr Botschaften wir also aussenden können, die uns daran erinnern, dass wir ein Recht darauf haben, den öffentlichen Raum zurückzufordern, ihn auf vielfältige Weise zu nutzen und die das Recht einfordern, uns dort willkommen zu fühlen, desto eher werden wir in der Lage sein, unseren Sinn für Solidarität und Gemeinschaft wiederzuerlangen. Das Design kann uns daran erinnern, den Fokus auf den richtigen Zweck zu richten.
Tscherttegasse, 1120 Wien
In den letzten Jahren hat sich die Nachfrage und damit auch die Anzahl an Telefonzellen stark verringert. Manche Kabinen haben inzwischen eine neue Funktion erhalten, z.B. als offener Bücherschrank.
„Decolonizing Narrations in Public Space“: die Macht des Widerstands
Pablo Calderón Salazar im Gespräch mit Martin Färber und Christina Schraml (Social Design Studio)
Pablo Calderón Salazar ist ein in Brüssel lebender kolumbianischer Designer, Lehrender und Forschender. Er studierte Industriedesign an der UJTL in Bogotá (2008), Social Design (MDes) an der Design Academy Eindhoven (2013) und promovierte an der LUCA School of Arts im Kontext des Projekts TRADERS. Im wachsenden Bewusstsein seiner privilegierten Position als weißer, gebildeter lateinamerikanischer Mann versucht er in seiner Arbeit die hegemonialen (d.h. kolonialen, patriarchalen, rassistischen, klassistischen usw.) Narrative von Designpraxis und -forschung zu hinterfragen. www.pablocalderonsalazar.com
SDS Du reflektierst in deiner Arbeit Machtverhältnisse im Design. Der öffentliche Ort ist ein umkämpfter Raum, ein Raum, in dem sichtbare bzw. unsichtbare Machtstrukturen herrschen. Wie manifestieren sich diese Strukturen in der Gesellschaft und den Objekten des öffentlichen Raums? Wie und inwieweit können wir diese überwinden bzw. nutzen?
PCS Ein guter Ausgangspunkt, um über Macht zu sprechen, ist John Holloways Unterscheidung zwischen „Macht-über“ und „Machtzu“: Er bezeichnet die erste als eine Machtausübung von oben nach unten, bei der dominante Akteur*innen Macht über untergeordnete Akteur*innen ausüben, während sich die zweite auf die Möglichkeit eines Individuums – oder einer Gemeinschaft – bezieht, ihre kollektive Handlungsfähigkeit zu stärken. Während er „Macht-zu“ als eine Vereinigung, ein Zusammenbringen des eigenen Handelns mit dem Handeln anderer beschreibt, sieht er die Ausübung von ‚Macht-über‘ als Trennung. Anhand von Holloways These lässt sich argumentieren, dass Machtverhältnisse im öffentlichen Raum nicht in Stein gemeißelt sind; vielmehr sind sie dazu da, um durch die Ausübung einer kollektiven Handlungsfähigkeit – oder der „Macht-zu“ – ausgehandelt zu werden, um einen Raum als öffentlich zu beanspruchen. Nehmen wir als Beispiel die unzähligen Fälle, in denen Bürger*innen in den vergangenen Jahren weltweit Statuen gestürzt haben: Die meisten dieser Denkmäler sind bzw. waren Repräsentationen früherer kolonialer oder imperialer Mächte, die Menschen jahrzehntelang – oder sogar jahrhundertelang – passiv hingenommen haben. Heute werden diese Monumente gestürzt, und die Bürger*innen (von denen einige Nachfahren der Opfer der in den Statuen repräsentierten Personen sind) fordern ihr Recht zurück, zu bestimmen, wie diese Räume aussehen, wie sie genutzt und verstanden werden sollen.
SDS Narrative haben einen starken Einfluss auf unser Verständnis von Geschichtsschreibung und unsere Verortung in der Gesellschaft. Wie manifestieren sich Narrative im öffentlichen Raum? Wie können öffentliche Räume und Designer*innen die Bürger*innen beim Ringen um soziale Gerechtigkeit unterstützen?
PCS Was denken wohl Nachfahren kongolesischer Einwanderer in Belgien, wenn sie jeden Tag am Denkmal von Leopold II. vorbeigehen müssen? Sie könnten zu dem Schluss kommen, dass die Absicht des öffentlichen Raums darin besteht, Unterdrücker zu feiern und zu ehren. Diese Situation kommt häufiger vor, als sie sollte, da der öffentliche Raum – sowohl in den ehemaligen Kolonialländern als auch in den kolonialisierten Ländern – zumeist das Narrativ des „Siegers“ zelebriert, ohne dabei die vielen anderen Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Dies führt zu (öffentlichen) Räumen, die daran scheitern, die Lebensweisen unterdrückter bzw. unterworfener Menschen zu berücksichtigen.
SDS Ein Schwerpunkt deiner Arbeit liegt auf der Stärkung marginalisierter Gruppen sowie der Entkolonialisierung von Design. Wer ist im öffentlichen Raum (unter-)repräsentiert? Wer darf mitbestimmen, wie öffentliche Räume gestaltet und genutzt werden und welchen Zweck sie haben? Wie können unterdrückte Stimmen berücksichtigt werden?
PCS Der kolumbianische Nationalstreik 2021 soll am 29. April um 6 Uhr morgens in Cali begonnen haben, als eine Gruppe von Misak (indigene Völker aus dem Südwesten Kolumbiens) die Statue von Sebastián de Belalcázar (ein spanischer Konquistador und „Gründer“ der Stadt) stürzte. Im Zuge einer Mobilisierung im ganzen Land (die von der Polizei und den Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt wurde) stürzte eine andere Gruppe von Misak die Statue von Gonzalo Jiménez de Quesada (ebenfalls ein spanischer Konquistador und „Stadtgründer“) im Zentrum von Bogotá. Zusammen mit einer Gruppe von Bürger*innen, die sich am Streik beteiligten, änderten sie den Namen der ältesten Straße der Stadt von Avenida Jiménez in Avenida Misak. Die Vorgänge waren Ausdruck einer kollektiven Forderung nach Repräsentation von Vielfalt im öffentlichen Raum, in dem viele Menschen täglich mit Bildern ihrer Unterdrücker konfrontiert werden. Darüber hinaus zeigen Aktionen wie diese das Einnehmen einer aktiven Haltung in der Aneignung städtischen Raums, von dem gewisse Gruppen historisch ausgegrenzt wurden und werden. Ein Erfolg der globalen Widerstandsbewegungen gegen alle Arten von Unterdrückung (BLM, MeToo, Dekolonialisierung usw.) ist, dass sich zuvor verdrängte Stimmen Gehör verschaffen. Aber nicht nur das: Viele sind nun als Teil des öffentlichen Diskurses auch aus dem öffentlichen Raum nicht mehr wegzudenken. Gestalter*innen sollten sich damit auseinandersetzen, wie zugänglich der von ihnen gestaltete Raum für Menschen aus allen Spektren der Unterdrückung (Klasse, Rasse, Geschlecht, Sexualität, Alter und Fähigkeiten) ist und ob sich Minderheiten in der Stadt repräsentiert fühlen und eine Stimme haben.
SDS Durch deine eigene Biographie sind dir zwei Städte auf zwei Kontinenten sehr vertraut: Bogotá und Brüssel. Wo siehst du Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten in der Nutzung, der Gestaltung und der Aneignung öffentlicher Räume in diesen Städten? Was können wir daraus lernen?
PCS Abgesehen von kulturellen Stereotypen (chaotisch vs. orga- nisiert) gibt es deutliche Unterschiede in der Gestaltung und Nutzung öffentlicher Räume in Lateinamerika und (Nord-)Europa. In letzterem (man beachte den Reduktionismus um des Arguments willen) herrscht ein Verständnis des öffentlichen Raums als Ort der Freizeitgestaltung, der in der Regel mit dem „öffentlichen Leben“ der Menschen verbunden ist; in Lateinamerika hingegen wird der öffentliche Raum in der Regel zu einem Ort der politischen Auseinandersetzung (auch als Reaktion auf die koloniale Vergangenheit vieler dieser Räume), an dem die Bürger*innen auch ihre Privatsphäre zum Ausdruck bringen. Dies wurde in der kolumbianischen Stadt Cali während des nationalen Streiks (Paro Nacional) im Jahr 2021 deutlich, als eine Gruppe von Bürger*innen einen öffentlichen Platz namens Puerto Rellena (den sie später in Puerto Resistencia umbenannten) besetzte und ein Protestcamp errichtete. Im Lauf der Besetzung wurde eine ehemalige Polizeistation in eine öffentliche Bibliothek umgewandelt, eine Gemeinschaftsküche (ollas comunitarias) eingerichtet und gemeinsam ein 15 Meter hohes „Denkmal für den Widerstand“ errichtet. Ich halte nichts davon, die Kämpfe und Entbehrungen, die hinter solchen Aktionen stehen, zu romantisieren, aber ich glaube, dass man daraus etwas lernen kann: Der öffentliche Raum ist unvollendet und erlaubt den Bürger*innen, aktiv in ihn einzugreifen bzw. ihn sich nach ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen anzueignen. Zudem unterstützt die Möglichkeit, dass Menschen (auch) ihre Privatsphäre im öffentlichen Raum zum Ausdruck bringen (etwa durch Kochen und Essen), die Bürger*innen dabei, eine emotionale und körperliche Verbindung zu diesem Raum aufzubauen.
SDS Du beschäftigst dich in deiner Forschung und Praxis mit den Potentialen eines (im-)materiellen Tauschhandels sowie partizipativen Methoden. Was sind die Möglichkeiten und Grenzen von Beteiligung in der Gestaltung?
PCS In seinem Kurzfilm „Una lezione d’urbanistica“ (Eine Lektion in Urbanismus) zeigt Giancarlo di Carlo einen Mann, der damit kämpft, nach den Normen und Räumen zu leben, die der Architekt entworfen hat, welcher sich selbst hoch oben in seinem Elfenbeinturm wähnt. Sein Film richtet sich kritisch an Designer*innen und Architekt*innen. Sie sind zu weit von den Menschen entfernt, die diese von ihnen entworfenen Produkte tatsächlich benutzen und die von ihnen gebauten Räume bewohnen. Als Reaktion darauf haben viele Gestalter*innen partizipatorische Ansätze in ihre Praxis aufgenommen, mit denen sie Nutzer*innen in den Entwurfsprozess einbeziehen. Selbst wenn das ein wichtiger Schritt zur Demokratisierung des Designs von Produkten, Räumen und Städten ist, möchte ich an dieser Stelle auch einen anderen Zugang ansprechen: das Nicht-Design. Nehmen wir Lacaton & Vassal, die 1996 von der Stadt Bordeaux mit der Renovierung des Platzes Lèon Aucoc beauftragt wurden. Nach mehrmonatigen Untersuchungen vor Ort waren sie bereit, ihren Vorschlag einzureichen: nichts zu tun (oder zumindest keine größeren Arbeiten), da der Platz bereits recht gut funktionierte. Ihre Haltung stellt einen radikalen Ansatz dar, bei dem die Gestalter*innen beurteilen, wann es besser ist, nicht zu gestalten, anstatt ihre Projekte mit dem Deckmantel von „Beteiligung“ zu beschönigen.
Stubenring, 1010 Wien
Seit vielen Jahren beschäftigt das Denkmal des antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger die Bevölkerung. Ein neuer Entwurf sieht vor, das Denkmal um 3,5 Grad nach rechts zu kippen.
Grete-Jost-Park, 1030 Wien
Stadtmobiliar dient oft als Ausdrucksfläche für kritische Botschaften.
Arnstein, Sherry (1969). „A Ladder of Citizen Participation”. In: Journal of the American Planning Association, Vol. 35, No. 4, July 1969, S. 216-224.
Baker-Brown, Duncan. (2017). The Re-Use Atlas. A Designer’s Guide towards a Circular Economy. London: RIBA Publishing.
Beucker, Nicolas (2003). Public Design – die Sprache des öffentlichen Raumes. Essen: Universität Duisburg-Essen.
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