STADT AUFMÖBELN
STADT AUFMÖBELNBau eines temporären Kulturcamps für und mit Senior*innen am Andreas-Hermes Platz in Hannover © Paul Maciol
Verortung
Andreas-Hermes Platz in Hannover direkt hinter dem Kulturzentrum Pavillon, in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof
Zeitraum
Sommer 2017
Größe
6.500 m²
Akteur*innen
endboss, PLATZprojekt, Kulturzentrum Pavillon, Architekturkollektiv Kratafajan, Verein Spokusa
Eigentumsverhältnisse
Stadt Hannover
Rechtliche Rahmenbedingungen
Festival (Veranstaltung) im öffentlichen Raum
Finanzierung
endboss wurde vom Kulturzentrum Pavillon beauftragt
Das interdisziplinäre Kollektiv endboss, 2013 in Hannover gegründet, konzipiert und realisiert internationale Beteiligungsprojekte. 2017 wurde es vom Kulturzentrum Pavillon beauftragt, die Platzgestaltung für das Projekt „Blaue Zone – alt werden und so“ zu übernehmen. Am Andreas-Hermes Platz wurde ein temporäres Workshop- und Veranstaltungszentrum errichtet – ein Kulturcamp für Menschen ab 55 Jahren, das für die Dauer von zwei Wochen öffentlich diskutieren sollte, wie man glücklich alt werden kann. Das Programm reichte von Themen wie Gemeinschaft, Bewegung, Sexualität bis zu Wohnen im Alter. Neben der temporären Architektur, die gemeinsam mit einer Gruppe von Senior*innen innerhalb einer Woche am Platz geplant und errichtet wurde, bot endboss eine Workshop-Reihe zum Thema „altersgerechtes Wohnen“ an, die auf große Resonanz stieß. Mehr als 80 Teilnehmer*innen brachten zahlreiche Fragen, Wünsche und Ängste ein, u.a. die Sorge, dass ihren Anliegen innerhalb der Gesellschaft zu wenig Gehör geschenkt werde. Spontan entschied sich das Team von endboss daher, das ursprüngliche Konzept für den Workshop – das den Entwurf gemeinschaftlicher Wohnungsgrundrisse vorgesehen hatte – abzuändern und stattdessen die Senior*innen dabei zu unterstützen, eine selbstorganisierte Interessensvertretung zu organisieren. Mit dem Ziel, ihre Anliegen öffentlich einzufordern, verfasste die Gruppe ein Manifest mit zehn Thesen, das an verschiedenen Orten in der Stadt aufgehängt und einer Bundestagsabgeordneten vorgetragen wurde. Endboss unterstützte die Gruppe außerdem dabei, eine Vision für ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt zu entwerfen. Die Senior*innengruppe trifft sich bis heute regelmäßig und hat sich zu einer selbstorganisierten Lobby für lebenswertes Wohnen im Alter in Hannover etabliert.
Der Andreas-Hermes Platz wurde für zwei Wochen in ein öffentliches Forum verwandelt, um darüber zu diskutieren, wie man glücklich alt werden kann. © Paul Maciol
Durch die Integration des großdimensionierten Brunnens entstand eine temporäre Stadtoase, die dem zuvor eher unbeliebten Platz neuen Glanz verlieh. © Paul Maciol
Die temporäre Architektur entstand innerhalb einer Woche gemeinsam mit einer Gruppe von Senior*innen. © Paul Maciol
Der Workshop von endboss zu Thema „altersgerechtes Wohnen“ stieß auf außergewöhnlich große Resonanz. © Paul Maciol
Es gibt weltweit fünf sogenannte „Blaue Zonen“. Das sind Orte, an denen Menschen glücklich und besonders lange leben. Mit dem Kulturcamp für Menschen ab 55 Jahren wurde der Andreas-Hermes Platz für die Dauer von zwei Wochen zur sechsten „Blauen Zone“ erklärt.
Der Andreas-Hermes Platz befindet sich direkt hinter dem Hauptbahnhof. Er wird u.a. von Randgruppen wie Wohnungslosen oder Drogensüchtigen genutzt und hat ein negatives Image. Endboss entschloss sich zu einem spielerischen Umgang mit dem Bestand, mit dem Ziel, den „Unort“ in eine temporäre Stadtoase zu verwandeln.
Die architektonische Intervention am Platz ergab sich aus der Situation vor Ort (Bestand). In den gesamten Prozess – vom Entwurf bis zur Umsetzung der temporären Architektur – wurde eine Gruppe Senior*innen miteingebunden, was zu einer stärkeren Identifikation mit dem Ort führte.
Eine der Methoden von endboss, die auch die Grundhaltung des Kollektivs widerspiegelt, ist „Kooperativer Widerstand“ bzw. „jmd./etw. endbossen“: Regeln werden ausgelotet und Grauzonen identifiziert, um mit den Beteiligten, die von den Regeln betroffen sind oder die sie aufgestellt haben, größtmögliche Spielräume zu schaffen.
Um Partizipationsprozesse im öffentlichen Raum zugänglicher und für alle Beteiligten leichter verständlich zu machen, hat endboss das Format des gläsernen Planungsbüros entwickelt. Planer*innen und Bürger*innen diskutieren Ideen und prüfen sie auf ihre Umsetzbarkeit.
Bei Beteiligungsprojekten kommt häufig der Doppeldeckerbus von endboss zum Einsatz – gemeinsam mit Handwerker*innen werden in der eigens im Bus eingerichteten Werkstatt Ideen vor Ort umgesetzt, um räumliche Visionen zu testen und erlebbar zu machen.
„Es ist eine schöne Arbeitsweise, wenn man flexibel bleibt und abwartet, was vom Gegenüber kommt. Wenn das Ergebnis schon vorher fertig gedacht ist, bringt der ganze Beteiligungsprozess nichts. Warum sollte man partizipativ arbeiten, wenn man nicht in der Lage ist, erst einmal nur zuzuhören? In den allermeisten Fällen kann man vorab nicht wissen, was die eigentliche Problemstellung ist. Es ist Teil der Aufgabe – und so verstehen wir unsere Arbeit – sich auf den Prozess einzulassen. Man kann uns nicht wie einen Dienstleister beauftragen. Man kann mit endboss partnerschaftlich herausfinden, worum es gehen soll. Partizipation muss ergebnisoffen sein. Viele können damit wenig anfangen – weil ergebnisoffen immer Unsicherheit erzeugt. Erst langsam ändert sich das Verständnis. Das ist der Grund dafür, warum Bürger*innenbeteiligungsprozesse oft schlecht laufen. Weil das Ergebnis immer schon vorher feststeht und nur nach einer Art Legitimation gesucht wird.“ (Ivana Rohr und Robin Höning, 09.04.2020)
„Eines unserer Beteiligungsprojekte, aus dem wir uns aber letztendlich aufgrund von inhaltlichen Differenzen mit der Stadtverwaltung wieder zurückziehen mussten, war die Umgestaltung des Steintorplatzes 2018. Das Steintor befindet sich am Ende einer Fußgängerzone und ist einer der wichtigsten Plätze in der Innenstadt von Hannover. Aufgrund eines Bürgerentscheids musste die Stadt einen Beteiligungsprozess für die Umgestaltung des Platzes durchführen und beauftragte damit ein großes Berliner Büro, das uns als lokale Partner dazu holte. Wir brachten unsere Ideen ein, u.a. das gläserne Planungsbüro mit unserem Doppeldeckerbus, der als mobile Werkstatt zum Einsatz kommen sollte, und entwickelten gemeinsam ein umfangreiches Konzept. Darin war auch unsere Idee einer Zeitung, in der wir möglichst alle Anrainer*innen und Schlüsselfiguren rund um den Platz zu Wort kommen lassen wollten. Die Zeitung wurde letztendlich zum Knackpunkt, warum wir schließlich aus dem Projekt ausgestiegen sind. Denn es stehen mit dem Platz einige sozial-räumlich kritische Themen in Verbindung, die die Stadtverwaltung aber nicht öffentlich thematisieren wollte, z.B. die dort angesiedelte Drogenszene oder Communities verschiedener Herkunft, die sich gerne am Platz aufhalten. Und was im Umgestaltungsprozess gänzlich unter den Tisch gefallen ist, ist das benachbarte Rotlichtviertel, in das die Fußgängerzone mündet. Das wurde quasi aus dem gesamten Prozess wegretuschiert. Für uns war es nicht in Ordnung, das bestimmte Stimmen nicht gehört werden sollten. Beteiligung verstehen wir als ein demokratisches Werkzeug – gerade wenn es um den öffentlichen Raum geht. Man kann sich nicht aussuchen, wen man beteiligt und wen nicht.“ (Ivana Rohr und Robin Höning, 09.04.2020)
„Vor unserem Ausstieg aus dem Beteiligungsverfahren am Steintorplatz haben wir uns gefragt, für wen wir eigentlich arbeiten? Die Stadt verwaltet das Geld der Bürger*innen – und deshalb müssen wir deren Position einnehmen und zwar von allen, insbesondere auch jenen, die dort ihren Lebens- und Arbeitsalltag bestreiten. Wir haben gekämpft für die Stimmen von Wohnungslosen und anderen „unbequemen“ Akteur*innen. Es bringt nichts, immer nur die üblichen Verdächtigen zu beteiligen – die Gefahr dabei ist, dass ein normatives durchschnittliches Meinungsbild herauskommt – und damit Ergebnisse von Beteiligungsprozessen überall gleich aussehen. Die Stadt hatte Angst vor dem Diskurs. Wir wollten alle zu Wort kommen lassen und ihre Ansichten wertneutral in der Zeitung nebeneinander aufstellen – um gegenseitige Empathie zu fördern. Und mit diesen Leuten hatte keiner zuvor gesprochen. Es war wirklich harte Arbeit mit ihnen in Kontakt zu treten und ihr Vertrauen zu gewinnen. Als wir dann nicht mehr garantieren konnten, dass ihre Stimmen gehört werden und ihre Meinungen in die Umgestaltung einfließen, sind wir ausgestiegen. Für uns sind Bürgerbeteiligungsverfahren keine gewerbliche Dienstleistung, sondern ein gesellschaftlicher Auftrag. Sie darf keine beschwichtigende Bürger*innenkonsultation sein, sondern ein demokratisches Werkzeug, das die Bürger*innen zu aktiver Teilhabe befähigt. Sonst könnte man ja auch einfach ein Marketingbüro mit einer netten Broschüre beauftragen.“ (Ivana Rohr und Robin Höning, 09.04.2020)
„In einem wahren Partizipationsprozess muss es möglich sein, seine Strategie anzupassen, wenn man Probleme unter der Oberfläche entdeckt. In der beratenden Funktion gegenüber der Stadtverwaltung ist es professionell, aufzuzeigen, worauf das Augenmerk zu lenken ist und darauf zu reagieren. Es darf nicht umgekehrt sein, dass die Stadt diktiert, wie der Prozess zu sein hat. Ergebnisoffen heißt für uns nicht, dass wir völlig blauäugig in ein Projekt starten. Es kommt wirklich darauf an, wie man den Prozess gestaltet. Eine wichtige Voraussetzung ist, die Menschen, die sich beteiligen auf eine gewisse Art und Weise zu „qualifizieren“ – also gewisse Grundlagen vermittelt beziehungsweise ein Verständnis dafür schafft, was aufgrund gewisser Faktoren z.B. baulich oder finanziell (nicht) möglich ist. Es geht nicht darum, willkürlich Träume und Wünsche auf Zetteln einzusammeln, sondern darum, in Dialog mit den Leuten zu treten. Das ist auch die Idee von unserem gläsernen Planungsbüro. Gemeinsam mit Planer*innen und jemanden von der Stadt kann man sein Anliegen besprechen. So zeigt sich schnell, warum etwas an einem bestimmten Ort nicht realisiert werden kann und welche Alternativen möglich wären. Man muss mit den Menschen in Dialog treten, sodass sie nicht nur passiv Ideen in eine Wunschbox einwerfen. Oft ist letzteres die klassische Herangehensweise – wo dann die gesammelten Visionen auf „wundersame“ Art geclustert werden und das Endergebnis ist immer das gleiche. Das ist total frustrierend und mitunter ein Grund, warum Partizipation oft belächelt wird. Man muss ja nicht Landschaftsplaner*in und Architekt*in sein, um darüber nachzudenken, wie ein öffentlicher Raum verbessert werden kann – als Nutzer*in weißt du oft mehr, als das Büro, das den Platz umgestalten soll.“ (Ivana Rohr und Robin Höning, 09.04.2020)
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